eine Vorbeifahrlandschaft entsteht...

Alexander Stern: Lehrer, Maler, Lichtinstallateur

von Max Wilhelm
Der Mitterfelser Künstler Alexander Stern ist die Ruhe in Person. Drei Tage vor dem erwarteten, zweifachen Familienzuwachs empfängt er das VIT-Journal in seinem Atelier und gibt bereitwillig Auskunft über sein Leben, seine Kunst und den inneren Antrieb, immer Neues auszuprobieren und - ganz nebenbei - bleibende künstlerische Werte zu schaffen. Und er reflektiert die besonderen Umstände, die Covid-19 in diesem Jahr geschaffen hat, einerseits nachdenklich, andererseits aber nicht mutlos, eher zukunftsorientiert. Die gesellschaftlich verordnete Zwangspause macht auch ihn traurig. „Heuer sind alle Ausstellungen abgesagt,“ bedauert er beiläufig, sieht allerdings persönlich die Umstände nicht nur negativ. „Der Faktor Zeit war plötzlich nicht mehr so wichtig. Ich habe mir viel mehr Zeit für meine Bilder nehmen können,“ argumentiert er, während er mit satten Pinselstrichen an seinem jüngsten Werk arbeitet, das er dem Zyklus „Vorbeilandschaften“ zuordnen wird. „Ich habe viel gemalt in diesen Monaten und mich auch wieder früheren Werken gewidmet, die ich mit neuen Ideen verband und denen ich zum Teil auch andere Farbschichten verpasste“, zieht der Künstler ein durchaus auch positives Fazit der Corona-Zwangspause. Und weil er aus familiären Gründen heuer wohl keine Zeit für seine Teilnahme am „Tag des offenen Ateliers“ haben werde, hat er im Juni eine eigene Ausstellung, auf die Füße gestellt. „Es war an der Zeit, dass meine Werke wieder einmal von anderen gesehen werden und nicht nur von mir und meiner Familie.“ Im Atelier präsentierte er seine „Vorbeifahrlandschaften“ und sah sich „von der großen Resonanz total überrascht.“ Das Besucherinteresse wertete der Künstler als ein klares Signal, dass die Gesellschaft auch in der Krise nach Kunst giert. Generell bezieht der in Deggendorf geborene und bis 1997 in Viechtach aufgewachsene Künstler seine Anregungen aus den Landschaften, die er abstrahierend in Szene setzt und mit „Spuren verbindet, die der Mensch in der Landschaft hinterlässt“. Eben diesen menschlichen Einfluss auf die Natur künstlerisch provokant wie nachdenklich darzustellen, ist Alexander Sterns große Triebkraft. Mal ist es ein einfaches Fenster, das in die unberührte Landschaft eingearbeitet wird, mal eine gewöhnliche Flutlichtlampe, die er wie zufällig in die Natur projiziert. Was auf den Betrachter zuweilen verstörend wirken mag, ist dem Künstler nicht bloße Willkür. Für ihn ist es Ausdruck einer gewissen Faszination im Spannungsfeld Natur-Mensch. Die Natur und der Umgang des Menschen mit ihr spiegelt sich querbeet in allen Werken des Mittelfelser Künstlers. Anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung in der Regensburger Augenklinik schrieb die Laudatorin Dr. Kirsten Remky: „In seiner Malerei bewahrt Alexander Stern stets den Bezug zum Gegenständlichen. Ausgangspunkt ist das Alltägliche, das Gewohnte, das Unauffällige... Mit schablonenhaften Rastermustern, mit vegetabilen-organischen Geflechten oder gardinenartigen Vorhängen überlagert und verunklärt er in mehreren Farbschichten das Gegenständliche, sodass ein Spannungsverhältnis zwischen Wirklichkeit und Auflösung entsteht.“ Sie spricht von „Déjàvu-Gefühlen beim Anblick der Werke und bringt damit das künstlerische Schaffen Sterns bezüglich seiner Malerei auf den Punkt: Alltägliches wird in neue Zusammenhänge gebracht und mit ungewohnten neuen Umgebungen kombiniert. Der 44-Jährige überrascht freilich auch mit manchmal banalen Worthülsen, respektive Allerwelts-Floskeln. Mit der Installation „Hast du gehört, in China ist ein Rad umgefallen“ reagierte er z. B. „auf die Übermenge an Nachrichten, die uns täglich vermittelt werden, obwohl sie mehr oder weniger belanglos für mich sind.“ Genauso, wie der Titel im Grunde suggeriert. Knappe Statements finden sehr oft auch Verwendung als Ausstellungstitel oder in seinen beachtenswerten Neonlicht-Installationen. „so still, dass man alles hört“ und die Komposition „everything is growing“ haben in seinen Ausstellungen für Furore gesorgt. Nicht minder nachdenklich stimmt den Betrachter der Satz „was geht geht was bleibt bleibt“ aus dem Jahre 2015 am Kulturzentrum Alter Schlachthof in Straubing, der plakativ und neongrell aus dem hundertjährigen Haus leuchtet. Mitunter spricht der Künstler die Menschen mit kurzen Sätzen (immer kleingeschrieben und ohne Satzzeichen!) direkt an: „was macht du hier“ (Atelierhaus Neukirchen), „denk dir nichts“ (Cordonhaus Cham 2016) und „wen juckts“ (Kunst- und Ge- werbeverein Regensburg 2014) fordern und fördern die Auseinandersetzung mit den Kunstwerken.
Die Satzfragmente fallen Stern nicht einfach zu. Sie sollten nicht zu negativ sein, vielmehr Mut machen. Er sucht auch keineswegs danach, hat für alle Fälle jedoch in seinem Skizzenbuch einen treuen Begleiter. Dort wird eingetragen und festgehalten, was unterwegs auffällig ist. Mit von der Partie auf Reisen oder im Alltag ist häufig auch seine Kamera, mit der er flüchtige Landschaften festhält („wenn ich Beifahrer bin“), um später daraus im Atelier Anregungen aufgreifen zu können. Viele der Outdoor-Projekte haben naturgemäß ihr Verfallsdatum. Aber, auch wenn die Installationen wieder abgebaut sind, hofft der Künstler, auf Zeit etwas bewirkt zu haben. „Die Wahrnehmung wird verändert und erweitert.“ So wie beim kurzen, ebenfalls neongelben „NÖÖÖ!“ Der im Kern ablehnende Ausspruch begleitet Sterns Schaffen seit 2016 und fand sich schon in etlichen Lichtinstallationen wieder. Mit den vier Buchstaben plus Ausrufezeichen hinterfrägt der Mitterfelser die Harmoniebedürftigkeit des Menschen und die allgemeine Angst in heutiger Zeit „Nein“ zu sagen. Ein unbegründetes „Nein“ als Antwort unterbricht erst mal jegliche Kommunikation und schafft Distanz innerhalb eines Dialogs. Zur Zeit ziert „NÖÖÖ!“ das Atelierfenster und ergibt inklusive der Umgebungsspiegelung (mit Bäumen und Himmel) eine weitere temporäre Kunst-Installation am Haus. Den Ausdruck verdankt Alexander Stern übrigens seinem Sohn, der in einer „frühen rebellischen Phase“ mit diesem aus dem Kindergarten aufgeschnapptem Wort kurz und bündig anstehende Küchendienste verweigert habe. Noch während seines Studiums an der Akademie der Bildenden Künste in München (1996- 2002) machte Alexander Stern mit zahlreichen Ausstellungen und Auszeichnungen auf sich aufmerksam. So wurde er 1998 1. Preisträger des „Max-Spohr- Preises“ in Frankfurt am Main, hinterließ 1999 seine Spuren mit einer Videostill-Klanginstallation „nach Landshut“, war im selben Jahr beteiligt an der Medienkunstausstellung „aus nächster Ferne“ in der Neuen Galerie Landshut und einer Einzelausstellung in der Stadtgalerie Vilshofen, wo er Malerei und Fotografie unter einen Hut brachte. Als Gaststudent an der Bauhaus-Universität Weimar im Jahre 2000 zeigte Stern Rauminstallationen mit Malerei, Klang und Objekten in der Weimarer Galerie „neudeli“. Zwei Jahre später wurde er mit dem ZDF-Kleinplastik-Kunstpreis ausgezeichnet und erfreute im selben Jahr die Einwohner Riminis mit einem „Bananen-Aufzug“ im öffentlichen Raum. Eine ganze Reihe von Ausstellungen folgte und führten ihn über die Schweiz und Italien bis in die Niederlande sowie nach Südkorea (2006). In der Heimat präsentierte sich der Künstler u.a. im „Fressenden Haus“ (Weißenstein), in Regensburg, Straubing, Augsburg, Burghausen, Mitterfels, Haindling und Landshut, Passau und Viechtach. Eine seiner zahlreichen Auszeichnungen ist der Kulturpreis des Kunst- und Gewerbevereins Regensburg 2014. Es fehlt nur noch die Erfüllung eines „Herzenswunsches“: Alexander Stern würde gerne in seiner Heimatstadt Viechtach auch eine Neonlicht-Installation verwirklichen. Solange beschäftigt er sich mit einem neuen Motto, das da heißen könnte: „nichts fängt an und nichts hört auf“.     


VIT Aktuell, 08 / 2020

PNP, Vit-Journal, August 2020

Alexander Stern: die Welt ist schlecht, der Honig süß

Vortrag der Kunsthistorikerin Dr. Kirsten Remky anlässlich der Ausstellungseröffnung in der Augenklinik Regensburg, 23. Oktober 2016 

Alexander Stern, 1976 in Deggendorf geboren, ist in Viechtach im Bayerischen Wald aufgewachsen. Von 1996 bis 2002 studierte er an der Akademie der Bildenden Künste München, im Jahr 2000 war er Gaststudent an der Bauhaus-Universität Weimar. Seine Arbeiten wurden im In- und Ausland (Schweiz, Italien, Südkorea, Niederlande) gezeigt und mit Preisen honoriert, wie z.B. 2014 mit dem Kulturpreis des Kunst- und Gewerbevereins Regensburg. Seit 2005 lebt und arbeitet Stern bei Straubing in Niederbayern.


Der Titel der Ausstellung „die Welt ist schlecht, der Honig süß“ klingt wie eine lapidare Redensart, als ob man sich schon längst mit den negativen Geschehnissen in der Welt abgefunden hat; oder die Gräueltaten sind zumindest so weit entfernt, dass wir selbst nicht direkt betroffen sind. Denn: „… es geht uns gut. Der Honig auf dem Frühstücksbrot schmeckt süß wie eh und je“, so kommentiert Stern seine Formulierung.Entstanden ist der Ausstellungstitel in der Zeit des Amoklaufs in München, der sogenannten Säuberungsaktion in der Türkei und der Attentate mit terroristischem Hintergrund in Würzburg und Ansbach im Juli 2016. Mittlerweile sind diese Verbrechen von neuen leidvollen Nachrichten aus der Welt überrollt, haben an Aktualität längst verloren und geraten zunehmend in Vergessenheit. 
Redewendungen, knappe Statements, Liedtexte oder Zitate in ungewohnter Kombination sind für Stern als Ausstellungstitel und für seine Lichtinstallationen von besonderer Bedeutung. Zum Beispiel bei der hier ausgestellten Installation eines ausgetrockneten Baumes mit der leuchtend gelben Neonschrift „NÖÖÖ!“ (2016) thematisiert Stern die Harmoniebedürftigkeit des Menschen, der sich vor dem konsequenten „Nein“ scheut. In einigen Bildern hat er Sprechblasen mit Worten in die Farbschichten eingeritzt. Seine Wortverbindungen können erklären, irritieren oder sogar verwirren; sie sind teils ironisch-humorvoll oder lyrisch und erfinderisch. Für seine Ölgemälde und Papierarbeiten wählt Stern eher nüchterne Titel, die lediglich das zentrale Motiv knapp benennen, wie „Fabrik“, „Jagdhütte“ oder „Gebüsch“. 
Der Ausstellungstitel „die Welt ist schlecht, der Honig süß“ ermöglicht einen weiten Interpretationsspielraum. Während diese Redewendung auf die vom Menschen gewollte Distanz anspielt, so ist auch eine gewisse Anonymität und Zurückgezogenheit in vielen seiner Bildern zu erkennen. Weder der Ausstellungstitel noch die Bildmotive wirken dramatisch, sondern sind eher von einer scheinbaren inneren Gelassenheit bestimmt. 


In seiner Malerei bewahrt Alexander Stern stets den Bezug zum Gegenständlichen. Ausgangspunkt ist das Alltägliche, das Gewohnte, das Unauffällige. Fotografien inspirieren ihn, die er malerisch nachahmt. Eine Holzhütte im Wald, ein Pilzesammler in gebückter Haltung, die Spiegelungen einer Wasseroberfläche oder die Fassade eines Hochhauses gehören zu seinen Motiven. Mit schablonenhaften Rastermustern, mit vegetabilen-organischen Geflechten oder gardinenartigen Vorhängen überlagert und verunklärt er in mehreren Malschichten das Gegenständliche, sodass ein Spannungsverhältnis zwischen Wirklichkeit und Auflösung entsteht. Stern versteckt zumindest ansatzweise seine Motive in einem ornamentalen Flechtwerk einfachster Formen von Linien und Punkten. Peitschenlampen am Straßenrand werden von Zweigen überwuchert oder ein Flugzeug verflüchtigt sich im fliegenden Vogelschwarm. Das Dargestellte wirkt unnahbar, undurchdringlich und undurchschaubar. Die Natur wird oft zum Hauptakteur in seiner Bildwelt. Es scheint, als ob die Natur das vom Menschen Geschaffene vereinnahmt und lautlos zurückerobern würde. 


Die Personen und das Gegenständliche sind anonym. Nicht selten entsteht ein Déjàvu Gefühl, das Erinnerungen hervorruft, an eine ähnlich erlebte Situation oder eine Szene aus den Medien. Die unlogisch und zusammenhangslos wirkenden Kompositionen verstärken das Irreale. Zugunsten eines imaginären Raumgefühls missachtet Alexander Stern die Gesetze der Perspektive. Jedes Bild ist von einer illusionistischen Tiefe bestimmt, die den Ausdruck des Geheimnisvollen steigert. Baukräne und Fabrikgebäude schweben vor hellblauer Kulisse, Lampen hängen unmittelbar vor einer Gebirgswand oder ein Gesicht taucht überraschend im Dickicht eines heimischen Waldes auf. 


Nur langsam erschließen sich die Bildinhalte, die im ersten Moment rätselhaft erscheinen. Das Dargestellte lässt genügend Raum für Assoziationen und Reflexionen. Die Thematik ist oft von einer gewissen Nachdenklichkeit geprägt, wie in dem Werk „stilles Leben“ (2016), das uns den Vanitasgedanken symbolisch vor Augen führt. Stern zeigt einen Baum, dessen lebensnotwendigen Wurzeln in einem übergroßen Würfel fest einbetoniert sind und damit sein verfrühtes Absterben vorbestimmt. Die Dramatik des Sterbens wird durch die gedämpfte Farbgebung, die sanfte Malweise und weißen Punkte, die an leise herabfallende Schneeflocken erinnern, gemildert. Andere Bilder können ein Gefühl zwischen Unbehagen und Mitleid auslösen, wie das Bild „Die Sendung“ (2016), auf dem ein Jugendlicher mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und verschränkter Armhaltung zu sehen ist. Seine Körperhaltung signalisiert jegliches Desinteresse an Kontakt. Liniengeflechte gewinnen an Eigenständigkeit; sie rücken den Schauplatz in die Ferne und schaffen Distanz.


Die Figuren in Alexander Sterns Bildern sind anwesend und verflüchtigen sich zugleich. Eine eigensinnige Ornamentik durchzieht sein malerisches Werk, sorgt für das Verschmelzen von Realität und Fiktion, entschärft die Spannung und suggeriert durch zarte florale Gebilde sogar in einigen Werken eine poetische Stimmung. Stern ist ein guter Beobachter gesellschaftlicher Phänomene, die er symbolhaft thematisiert. Seine Bilder und seine Lichtinstallationen liefern keine Antworten auf kosmopolitische Konflikte, doch sie kommentieren die Verlorenheit des Menschen auf sensible Art und Weise. 

Herzlichen Dank an Alexander Stern!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Kirsten Remky





Noch konkretere Poesie

Alexander Sterns Arbeiten bieten eine bemerkenswerte Weiterentwicklung von Ideen und Zielen, die früher mit Konkreter Poesie verbunden waren. Es ist nicht oft, dass jemand Humor und eine gewisse Komik in die Kunst hineinträgt, ohne sich jedoch auf Gags zu beschränken. Letzteres ermüdet schnell und macht Arbeiten oft zu Sekundenereignissen, ersteres trägt und führt sogar zu einer angenehmen Entspannung des oft überstrapazierten Kunstbegriffs. Sterns Arbeiten werden getragen von einer hintergründigen Menschlichkeit: sie sind human, ohne moralisch zu kommen. Und sie strahlen eine merkwürdige Weisheit aus.

Prof. Dr. Wolfgang Ullrich


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